„Aus zwei Igeln wurden 100“ – Interview mit Stachelkugel e. V.

Die Deutsche Wildtier Stiftung hat den Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) zum Tier des Jahres gewählt. Damit wird ein Säugetier ausgezeichnet, das wohl allen bekannt ist. Die Berühmtheit des Igels schützt ihn allerdings nicht; längst steht er auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Der Klimawandel, fehlende Lebensräume sowie die Gefahr durch Straßen und Gartengeräte setzen dem Bestand zu. Im Bereich der Igelrettung und des Igelschutzes sind viele ehrenamtliche Akteur:innen engagiert. Im Jahr des Igels unterstützt die BERLINER STADTGÜTER GmbH Stachelkugel e. V. aus Brandenburg mit einer Spende in Höhe von 1.000 Euro. Mit der Vereinsgründerin haben wir über ihre Arbeit gesprochen.

Frau Schwabe, Ihren Verein gibt es seit 2021. Wie kam es zur Vereinsgründung?
Wir als Familie haben im Herbst 2020 die ersten beiden Igel über die Wildtierrettung Berlin/Brandenburg aufgenommen, versorgt und erfolgreich über den Winter gebracht. Die Aufgabe hat uns viel Spaß gemacht und wir wollten unbedingt weitermachen. Als im Frühjahr 2021 der erste kleine verletzte Igel zu uns kam, lernte ich dann noch unsere tolle und engagierte Tierarztpraxis kennen und aus zwei Igeln, wurden 25 und dann 100. Es war nur logisch, dass aus einem Ich ein Wir werden muss, damit wir den vielen hilfsbedürftigen Stachlern weiterhin helfen können.

Mit welchen Problemen und Verletzungen kommen die Igel zu Ihnen?
Ein Großteil der Igel kommt mit mehreren Diagnosen. Grundlegend sind bei allen Igeln eine Unterernährung und ein schlechter Allgemeinzustand festzustellen. Das macht sie anfällig für Infektionskrankheiten und im Folgenden dann auch für Verletzungen.
Insbesondere wenn sich der Igel aus Nahrungsnot überwiegend von Schnecken und Würmern ernährt, infiziert er sich schnell mit Parasiten wie Lungen- und Darmsaugwürmern. Irgendwann ist der Igel dann so krank, dass er tagaktiv wird und mit den Gefahren in der menschlichen Welt konfrontiert wird.
Wir haben sehr viele Igelchen mit Lungenentzündungen, Darmentzündungen und anderen Infektionskrankheiten auf Station. Es ist ein Teufelskreis in dem sich der Igel heute befindet. Seine Hauptnahrung, Laufkäfer, sind kaum noch zu finden. Hunger und Durst treiben ihn an, weite Strecken zu laufen, Straßen zu überqueren, bis sie vor Erschöpfung durch Tagaktivität den Menschen auffallen und Hilfe in Igelstationen bekommen.
Hinzukommen die vielen schwerverletzten Stachelkugeln durch Mähroboter und Trimmer. Im Frühjahr und Sommer sind sie leider keine seltenen Patienten. Ab August kommen die verwaisten Igelbabys zu uns, weil die Muttertiere vor Hunger und Erschöpfung tot zusammenbrechen.

Wie helfen Sie und wie schaffen Sie es, pro Jahr weit über 300 Igel zu versorgen?
Alleine schafft es niemand mehr, das Aussterben des Igels zu verhindern. Das ist mir schon sehr früh in unserer Arbeit bewusst geworden. Diese Zahl an Igeln versorgen zu können braucht viele Hände und viele gute Geister. 2022 mussten wir das erste Mal Igel-Finder zum Päppeln anleiten, weil auf unserer Station bereits 37 Igelkinder parallel gepflegt und versorgt werden mussten. Es ging einfach nichts mehr. Die Finder waren alle sehr verständnisvoll und haben sich super anleiten lassen. Nach dem kontrollierten Winterschlaf waren alle Paten sehr stolz darauf einem oder mehreren Tieren erfolgreich geholfen zu haben und alle wollten weitermachen. So habe ich angefangen „Einsteiger-Seminare“ zu geben, wodurch sich ein Netzwerk mit mittlerweile über 40 Igelrettern aufgebaut hat. Ohne dieses Netzwerk könnten wir den vielen hilfsbedürftigen Igeln gar nicht mehr gerecht werden.

Auch Mitarbeitende der BERLINER STADTGÜTER GmbH haben auf Stadtgüterflächen schon unterernährte und verletzte Igel gefunden. Woran erkennt man, dass ein Igel Hilfe braucht? Werden Ihnen auch Igel gebracht, die gesund sind?
Wir haben in diesem Jahr bereits 135 Igel auf Station versorgt. Davon ist genau eine Stachelnase falsch bei uns gelandet. Der dicke Brummer brachte 1,6 Kilo auf die Waage und war kerngesund. Er hat lediglich bei 30 Grad sein Nest mitten am Tag verlassen, um in sein schattigeres Plätzchen zu wechseln. Aber da sind wir schon beim Thema. Tagaktivität ist grundsätzlich ein Alarmzeichen. Deshalb haben die Finder hier auch alles richtig gemacht. Er wurde nach eingehender Untersuchung aber sofort wieder am Fundort ausgesetzt. Tagaktive Igel sollten immer gesichert werden, um sicher zu stellen, dass wirklich alles okay ist. In 99 Prozent der Fälle ist es das nicht. In der Regel sind die Igel krank, verletzt oder unterernährt. Sie haben einen sogenannten Hungernick im Nacken, wirken eher eingefallen und oval, als rund. Und bitte, kein Igel „sonnt“ sich. Ein Igel, der am Tag in der Sonne im Garten liegt muss dringend gesichert und vor allem fliegensicher untergebracht werden. Auch sich im Kreis drehende Igel sind unbedingt hilfsbedürftig (nur nicht wenn da noch ein zweiter Igel dabei ist, dann ist es ein Balzritual). Meist ist der Grund eine schwere Ohrenentzündung, plötzliche Erblindung oder ab dem Spätsommer nicht selten – Alkoholmissbrauch. Igel gehen sehr gerne an vergorene Äpfel, um sich die Maden aus dem Obst zu holen. Nicht selten endet das in einem Rausch, der für den Igel tödlich enden kann. Sinnvoll ist es daher, das vergorene Obst nicht unbedingt in Bodennähe liegen zu lassen. Auf dem Kompost dient es noch den anderen Tieren, wird aber den am Boden lebenden Tieren nicht gefährlich.

Den Igel kennt jedes Kind. Er taucht in Märchen auf, in Kinderbüchern, Liedern und Comics. Er ist gefühlt immer schon da, wir begegnen ihm aber sehr viel seltener. Was können wir tun, um dem Igel das (Über-)Leben leichter zu machen?
Es ist gar nicht so schwer dem Igel zu helfen. Um sein Überleben zu sichern braucht es einfach Weniger statt Mehr. Weniger aufgeräumte Gärten zum Beispiel. Eine kleine Totholzhecke, heimische Gehölze, statt teure und pflegeintensive Exoten. Ein kleiner Blühstreifen, ein kleiner Laubhaufen im Herbst. Alleine das sichert dem Igel einen kleinen Lebensraum und schafft ein Biotop für seine natürliche Nahrung. Bis wir für ihn wieder ein gesundes Ökosystem geschaffen haben, helfen wir nicht nur den Igeln mit kleinen im Garten verteilten Wassernäpfen. Wer mag darf auch gerne etwas Zufüttern, zum Beispiel hochwertiges Katzenfutter mit mindestens 70 Prozent Fleischanteil ohne Sauce und Gelee oder ungewürztes Rührei. Hier beraten wir gerne.  Auch sollten unsere Gärten nicht hermetisch abgeriegelt sein. Alle paar Meter auf Bodenniveau ein kleiner Durchlass im Zaun, 10×10 cm groß und ohne scharfe Kanten, ermöglicht dem Igel eine entspannte Futtersuche ohne Straßen zu überqueren.  Hinzu kommt etwas mehr Achtsamkeit. Wenn es schon ein Mähroboter sein muss, dann bitte nur tagsüber und unter Aufsicht fahren lassen. Beim Umgang mit Gartengeräten, wie Trimmer, Spaten, Grabgabeln, vorsichtig sein. Igel verstecken sich am Tag gerne im dichten Gebüsch oder unter Hecken. Hier kann es auch schnell zu Verletzungen kommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Fotos: Stachelkugel e. V., Andreas Budtke